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Heiss diskutiert: ChatGPT

Im ersten Semester des Masterstudiums der HSLU D & K / PHLU musste Lucas Gross in Pädagogischer Psychologie ein Lehrprojekt vorlegen. Als Thema wählte er: «Aktuelle Entwicklungen der künstlichen
Intelligenz im schulischen Umfeld. Eine aktuelle, exemplarische Einordnung im Rahmen eines Lehrprojekts auf gymnasialer Stufe». Nach Abgabe der Arbeit lässt ihn das Thema nicht los. So entstand der untenstehende Text als eine Art Kolumne.

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Pdf-Download: lucas.gross_PP_Lehrprojekt_31.01.2023_web.pdf (18 Seiten, 0.6 MB)

Weshalb löst ChatGPT einen solchen Aufschrei in Pädagogik-Fachkreisen aus?

Ich gebe gerne zu, dass ich über zwei drei Umwege zum Thema KI-Nutzung in der Pädagogik gelange. Damit dies gleich vorne weg klar ist, was mein Hintergrund ist, hier ganz kurz mein Bezug. Als ehemaliger Software Engineer, später mutierend zum kreativschaffenden Künstler oder Designer mit IT-Hintergrund, interessierte mich stets die psychologische und soziale Komponente der technologischen Revolution, die wir gerade erleben. Da bin ich schon seit gut fünfzehn Jahren dran. Mein Studienabschluss des Bachelors Prozessgestaltung HGK FHNW widmete ich dem Umgang mit neuen Technologien. Obwohl ich mich immer wieder als Technologiefreak sehe, dank der vielen praktischen Vorzüge, sah ich immer auch die Kehrseite der Medaille, sehe mich diesbezüglich auch auf einem immer währenden Balanceakt zwischen Euphorieerleben und Kulturpessimismus oder Befürchtungen. Letztere versuchte ich als solche bewusst abzuschütteln, wenn mir auch bewusst ist, dass die gestellten Fragen, die in die Tiefe gehen, beleuchten und auch Unliebsames an die Oberfläche bringen, sich deutlich von einer pessimistischen Haltung abheben und vielmehr konstruktiv ansetzen. Im Sinne der Gesellschaft, aus fast schon humanistischer Sichtweise, wäre es doch richtig und wichtig zu wissen und entsprechend zu benennen, was die Schattenseiten der Technologierevolution sind. Verbesserungen sollten vermehrt eingebracht werden – was bei social media auch geschieht. (Teils wird auch nachgeregelt. Die Frage ist auf welcher Ebene, in welchen Kreisen. Ich befürchte, dass die Politik stark unter Lobbyzwang agiert. Z. B. deklarieren Handyshops weiterhin kaum Emissionswerte der Geräte.)

Erst durch wichtige und nötige Anpassungen im Umgang mit Technologie – auf persönlicher Ebene, als Gesellschaft als Ganzes, nicht zuletzt auf Gesetzesebene – wollen wir diese neuen Möglichkeiten nutzen. Der Staat soll das Individuum vor Gefahren und Risiken schützen. Bei Anzeichen von schädigenden Verhalten verschreien wir die Technologien schnell als Bösewichte, dabei lässt sich – wie schon oft anderswo festgestellt – kaum die Technologie selbst als böse abstempeln. Sondern die benutzenden Menschen dahinter sind Urheber der bösartigen Verhalten. Diese Boshaftigkeit ändert sich auch nicht bei einer neuen Technologie. Was sich ändert sich die Formen und Möglichkeiten der Boshaftigkeit, z. B. Deepfake Pornografie1https://www.swr.de/unternehmen/kommunikation/pressemeldungen/vollbild-deep-fakes-2022-100.html.

Was ist daher wichtig?

Nach Erfindung der Eisenbahn, des Automobils – des Taschenrechner, der im Unterricht Einzug hielt – Technologie lässt sich nicht aufhalten – ob erwünscht oder nicht erwünscht. Diese zu ignorieren führt allerdings dazu, dass die breite Masse von der IT-Industrie bzw. early adopters überrollt und potenziell stehen gelassen werden. Sich das zu einem Vorteil gegenüber den anderen nutzt. Insofern ist es wohl für alle auf allen Ebenen eine unliebsame Verpflichtung sich den neuen Entwicklungen zu stellen und diese sich auf ‹gesunde›, ‹vernünftige› Art und Weise anzueignen und zu nutzen. Oder in anderen Worten: Die einzige Chance mitzutun, ist die neue Technologie zu antizipieren, aufzunehmen, diese zu diskutieren und dafür neue gesellschaftliche Regeln und Verhalten zu definieren. Und auch etwelche Zugänge für Andersdenkende zu ermöglichen – Telefonkabinen gibt es nicht mehr etc.

Das heisst: auch bei folgenden Revolutionen sollten diese nicht ‹verschlafen› werden. Anstelle von allen Ressourcen auf die bisherigen, allfällig ungelösten Probleme (in der Pädagogik oder anderswo) sollten auch Mittel bzw. personelle Ressourcen für die Veränderung, den technologische Wandel und die folgenden Implikationen zur Verfügung gestellt werden.

Gesellschaftlicher Diskurs ist dringend notwendig. Dieser soll und kann auch in den Schulen geführt werden.

Weshalb ist der Aufschrei besonders gross in der Pädagogik?

Als Masterstudent an der Pädagogischen Hochschule Luzern PHLU durfte ich mich bzgl. Empirie einarbeiten. Eine exemplarische Arbeit mit Leitfadeninterview und zusammenfassender Inhaltsanalyse nach Mayring (2002) war gefordert. Ich nahm ChatGPT zum Anlass, auf Stufe – also SekII – die aktuelle Kenntnis und Benutzung eines Schülers, einer Schülerin zu erfragen. In meiner Recherchetätigkeit, die ich mit Arbeitskollegen der Pädagogischen Hochschule PH FHNW gespiegelt habe, stellte ich fest, dass zur Schnittmenge Künstliche Intelligenz und Pädagogik wenig publiziert wurde, besonders im deutschsprachigen Raum. Einige wenige Publikationen widmen sich dem Thema (vgl. Gross, 2023).

An der PH FHNW im Institut Sekundarstufe I und II wurde im 2022 einen Lehrstuhl für Medien und Informatik eingerichtet. Ist Medienpädagogik auf dieser Stufe erst jetzt wichtig genug? 2Natürlich sind die Hochschulen schulpolitisch ein schwer zu steuernder Supertanker. Hat allerdings selbst die Politik erst jetzt zur raison geführt, dass ein solcher Lehrstuhl sinnvoll sein könnte? Klar, die FHNW scheint mir aus meinem persönlichen Dafürhalten im Vergleich zu anderen Fachhochschulen wohl nicht zu den fortschrittlichsten zu gehören.

Aus diesen Feststellungen und Gesprächen schliesse ich, dass die Pädagogik die fortlaufenden Entwicklungen in der Informatik besonders aber in der KI-Forschung und -Anwendung weitgehend (wenn nicht sogar sträflich) vernachlässigt hat.

Viele journalistische Artikel und teils auch pessimistische Stimmen der Neurologie nehmen z. B. e-learning als bislang gescheiterte oder zumindest ungenügend bearbeitete Entwicklung wahr.

Ist es daher verwunderlich, dass bei dieser Vernachlässigung der Entwicklung nun ein angsterfüllter Aufschrei erfolgt? Ich denke nicht. Nicht nur die breite Bevölkerung, sondern auch Lehrer:innen-Kollegien, sind offensichtlich über Nacht von der Veröffentlichung überrascht worden. Der Aufschrei ist verständlich – und menschlich.

Doch damit – mit der Emotionalisierung oder auch der Verteufelung der neuen Technologie – lässt es sich nicht bewenden. Die Übernahme von neuen Akteuren wird sich schnell zeigen, wenn nicht die Gesellschaft als Ganzes, die Pädagogik im Speziellen sich der Thematik annimmt.

Auf regulatorischer Ebene will sich die EU offenbar auch positionieren3https://www.heise.de/meinung/Kommentar-zum-AI-Act-Es-droht-das-Aus-fuer-ChatGPT-in-der-EU-7522179.html. Ein gänzliches Verschliessen und eine Verschiebung in die Illegalität finde ich an dieser Stelle allerdings nicht die richtige Antwort. Ich sehe eigentlich nur aktives Anpacken und Hinschauen.

Als Software Engineer bin ich mir bewusst über die Prozesse der IT-Industrie. Ein neuartiges Produkt soll umgehend in die Umlaufbahn kommen, da dies direkt oder indirekt wieder Gelder und Einkünfte generiert. Releases werden also höchstens auf kapitalistischen, marktorientierten Kriterien bestimmt, kaum aber auch sozialer Ebene abgefedert. Wäre es nicht bereits ein grosser Fortschritt, wenn es bzgl. der Veröffentlichung ein Regelwerk gäbe, die eine in verschiedenen Berufsgruppen schrittweise Veröffentlichung bzw. ein Beta-Testing in besonderen Benutzergruppen vorsehen würde? Wenn zwischen der Ankündigung und der globalen Veröffentlichung Zeit gewonnen werden könnte, wie dies bei der Markeinführung z. B. bei Medikamenten der Falls ist, könnte dies auf sozialer Ebene eine deutliche Entspannung einbringen. Umwälzungen kämen nicht von heute auf morgen, sondern von Jahr zu Jahr.

Diese Form von Abfederung wäre auch für die Pädagogik sinnvoll. Wir kennen alle die langwierigen Abläufe in Politik und Gesellschaft. (Auch das Schulsystem ist davon betroffen.) Die Gesellschaft würde es den IT-Entwickler:innen danken, wenn die Einführung bahnbrechender Technologie mit Nachsicht erfolgen würde.

Nun aber anpacken: anwenden, diskutieren, sich positionieren, klarstellen, reflektieren, verbessern.

Ausstellungshinweis:
«Hello, Robot. Design zwischen Mensch und Maschine», 24.09.2022 – 05.03.2023 im Vitra Design Museum4https://www.design-museum.de/de/ausstellungen/detailseiten/hello-robot.html

Literaturverzeichnis:
Gross, L. (2023). Aktuelle Entwicklungen der künstlichen Intelligenz im schulischen Umfeld [Seminararbeit]. Pädagogische Hochschule Luzern PHLU.
Mayring, P. (2002). Einführung in die qualitative Sozialforschung: Eine Anleitung zu qualitativem Denken. Beltz.

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